PRESSEMITTEILUNG
16.06.2021
FLUCHT, VERTREIBUNG, VERSÖHNUNG
ATELIER BRÜCKNER GESTALTET DOKUMENTATIONSZENTRUM
In Berlin, unweit des Regierungsviertels und direkt gegenüber der Ruine des Anhalter
Bahnhofs, eröffnet am 23. Juni das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung,
Versöhnung. Die Architektur des Deutschlandhauses wurde saniert und architektonisch
ergänzt von Marte.Marte Architekten. Die Ausstellungsgestaltung stammt von ATELIER
BRÜCKNER.
Die Ausstellung zeigt im ersten Obergeschoss „Eine europäische Geschichte der
Zwangsmigrationen“ und im zweiten Obergeschoss „Flucht und Vertreibung der
Deutschen“. Beide Bereiche unterscheiden sich in der räumlichen Bildsprache.
Verbindend, über die Etagen hinweg, ist eine durchgehende Gestaltung der Grafik und
der digitalen Medien sowie die integrative Erschließung aller Bereiche und Inhalte.
Hierzu zählen ein Leitsystem für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen, taktile
Orientierungsmodelle, Ausstellungsobjekte, die mit mehreren Sinnen erfahrbar sind,
eine Audiotour in sechs Sprachen und Erklärfilme, die einen Überblick und Einstieg in
die einzelnen Unterthemen der Ausstellung bieten. Texte in leichter Sprache und
Deutscher Gebärdensprache begleiten sie. Die Filme, entwickelt von Space Interactive,
überzeugen mit stark reduzierten grafischen Animationen. Sie korrespondieren mit der
abstrahierten Ausstellungs-gestaltung.
Eine monumentale Treppe führt die Gäste des Dokumentationszentrums vom
Erdgeschoss ins erste Obergeschoss. Dort begrüßt sie das Forum, ein Ort der Begegnung
und Kommunikation. Er lädt ein, sich selbst einzubringen. Jeder Gast kann die eigene
Fluchtgeschichte digital hinterlegen und schriftlich auf Fragen antworten, die im Raum
stehen: „Was ich nicht zurücklassen würde...“, „Heimat bedeutet für mich...“, „Worüber
wir mehr sprechen sollten...“.
Die Ausstellung „Eine europäische Geschichte der Zwangsmigrationen“ versteht sich als
Einführung und Überblick vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in unsere Zeit. Ursachen
von Zwangsmigration, Phänomene und Diskurse werden anschaulich. Sechs
raumbildendende Ausstellungselemente prägen und strukturieren den weitläufigen,
stützenlosen Ausstellungsbereich. Sie bestehen aus modularen, filigranen Rahmen, die
thematisch unterschiedlich ausgestaltet sind. Großformatige Exponate und
Objektinstallationen begleiten die Themen und wecken die Neugier:
Ein übergroßer Fellmantel, den der siebenjährige Eitel Koschorreck bei seiner Flucht aus
den Masuren im Winter 1945 trug, ist das Leitexponat des Themenbereichs „Wege und
Lager“.
Das Bullauge der Wilhelm Gustloff leitet in den Bereich „Erinnerungen und
Kontroversen“ ein. Das Schiff wurde im Januar 1945 versenkt und riß mehrere tausend
flüchtende Menschen in den Tod. Als taktiles Objekt präsentiert sich im Themenbereich „Krieg und Gewalt“ die Nachbildung einer Mörsergranate. Die Granate belegt ein
Kriegsverbrechen. Sie wurde 1994 auf einen Markt in Sarajevo abgefeuert. Weitere
Themenbereiche der Ausstellung sind „Nation und Nationalismus“, „Recht und
Verantwortung“ sowie „Verlust und Neuanfänge“.
Das zweite Obergeschoss blickt auf Flucht und Vertreibung der Deutschen am Ende des
von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkriegs. Drei raumbildende Kuben setzen
optische Akzente und strukturieren den Parcours inhaltlich wie chronologisch.
Der Zugang erfolgt über den Ausstellungkubus „Deutsche Expansionspolitik und Zweiter
Weltkrieg“. Der begleitende Erklärfilm spricht über die Machtergreifung, den
Vernichtungskrieg, den systematischen Massenmord an Jüdinnen und Juden sowie über
die Umsiedlungen und Umsiedlungspläne, die mit deutschen Aktionen verbunden
waren. Die ausgestellten Objekte befinden sich in Vitrinenschubladen. Werden jene
geöffnet treten Hitlers „Mein Kampf“ und das Diagramm „Die Jüdische Auswanderung
aus der Ostmark“ als animierte Großprojektionen in den Raum. Sie erhalten
übermächtig erdrückenden Ausdruck.
Der zweite Kubus „Neuordnung durch Vertreibungen“ ist als Transit-Pavillon gestaltet.
Er bietet einen Überblick über Grenz- und Menschen-Verschiebungen, die im Anschluss
an den Zweiten Weltkrieg auf Beschluss der Alliierten umgesetzt wurden. Im Zentrum,
auf einer quadratischen, bodennahen Projektionsfläche, sind diese visualisiert. Mehrere
Millionen Deutsche waren von Vertreibung und Zwangsaussiedlung betroffen. Die
Wände des Pavillons zeigen Fotos von Fluchtsituationen, die im kollektiven Gedächtnis
verankert sind.
Der dritte Pavillon ist dem neuen Zuhause gewidmet. Er ist offen gestaltet und
ermöglicht Ausblicke. Provisorische Gegenstände des häuslichen Bedarfs, darunter eine
Gardine aus einem Fischernetz oder ein Kinderbett, ordnen sich, gleichsam von oben
hereinschwebend, im Raum an. Dazwischen finden Suchplakate ihren Platz. Der
Verbleib unzähliger Menschen ist bis heute ungeklärt.
Der Besucher durchschreitet die Zeit von den 1940er Jahren bis in die Gegenwart,
begleitet von langgezogenen Ausstellungsdisplays, die den Weg flankieren. Das letzte
Kapitel ist der öffentlichen und privaten Erinnerungskultur gewidmet.
Prägend für das Ausstellungserlebnis sind menschliche Silhouetten, die den gesamten
Raum umstellen. Die lebensgroßen Grafiken erscheinen unscharf und entrückt hinter
den Displays. Ein emotionaler Zugang zu den Menschen und ihren tiefgreifenden,
verlustreichen Erfahrungen entsteht über die Exponate. Das Tagebuch der Charlotte
Schmolei spricht beispielsweise von Hunger, schwerer Arbeit und Gewalt, die die junge
Frau in ihrer Heimat Ostpreußen erlebte. Sobald der Besucher die Geschichten am
Audioguide aufruft, startet eine Projektion: Die grauen Schatten erhalten Gesichtszüge
von Menschen, die auf historischen Fotografien überliefert sind. Ein lebendiges
Erinnerungsbild entsteht.
Sich Erinnern ist ein lebendiger Prozess. Den Epilog der Ausstellung bildet eine digitale
Bildkollage, die kontinuierlich erweitert und ergänzt wird. Sie spiegelt regionale
Erinnerungskultur in Mittel- und Osteuropa – einen Prozess, der zu Verständigung und
Versöhnung führen kann.
Träger des Dokumentationszentrums ist die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung,
Versöhnung. Sie wurde im Jahr 2008 vom Deutschen Bundestag unter dem Dach des
Deutschen Historischen Museums in Berlin gegründet. Das Dokumentationszentrum
versteht sich als ein Ort historischer Bildung und lebendiger Debatten im Geiste der
Versöhnung.
Der Festakt zur Eröffnung findet am Montag, 21. Juni, 15 bis 16.30 Uhr, in Anwesenheit
der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel statt. Er wird online übertragen unter:
https://flucht-vertreibung-versoehnung.avepro.io.
Eingebunden in die Übertragung ist ein filmischer Beitrag, der die vielfältigen Angebote
des Dokumentationszentrums vorstellt. Zu ihnen zählen, neben der Ausstellung, eine
Bibliothek, ein Zeitzeugenarchiv und ein Raum der Stille, der sich im Erdgeschoss des
Neubaus befindet.
Die Öffnungszeiten des Dokumentationszentrums sind Dienstag bis Sonntag, jeweils von
10 bis 19 Uhr bei freiem Eintritt. Aktuelle Corona-Auflagen sind auf der Website
hinterlegt:
www.flucht-vertreibung-versoehnung.de/visitor-info-en.
Fotografien (jpg_300 dpi) und Pläne zum Download finden Sie in unserer Mediathek:
https://www.atelier-brueckner.com/de/dokumentationszentrum-flucht-vertreibungversoehnung
Kontakt für Presseanfragen
Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Sandra Köhler, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
s.koehler@f-v-v.de, T. +49 30 206 29 98-20



















